27.6.2016 | Kathpress
KABÖ-Vorsitzender Philipp Kuhlmann: Abkommen widersprechen katholischer Soziallehre und den Enzykliken
Während die Verhandlungen für das CETA-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada in die heiße Phase gelangen, wächst in Österreich die Ablehnung dagegen. Kurz vor der Hauptausschuss-Sitzung im Nationalrat am Montagnachmittag haben Vertreter einer Protestbewegung aus Gemeinden, Gewerkschaften, Bauernschaft, der Klein- und Mittelbetriebe sowie von NGOS und Kirchen in einer Pressekonferenz in Wien ihre Kritikpunkte dargelegt. Österreichs Regierung solle das Verhandlungsmandat der EU-Kommission für das TTIP-Abkommen zurückzuziehen und sich klar gegen CETA aussprechen, das "TTIP durch die Hintertür" sei, so die gemeinsame Forderung bzw. Warnung.
CETA und TTIP stünden "definitiv im Widerspruch zum Grundsatz der katholischen Soziallehre, dass Arbeit Vorrang vor Kapital hat", erklärte Philipp Kuhlmann, Vizepräsident der Katholischen Aktion (KA) der Erzdiözese Wien, gegenüber "Kathpress". Markt und Demokratie würden sich "nicht immer gut vertragen": Es sei höchst bedenklich, wenn Konzerne mit Hilfe der Abkommen gegen demokratische Entscheidungen etwa einer Verstaatlichung des Wassers klagen könnten, so der Kirchenvertreter.
Als wegweisend und "sehr differenziert" lobte Kuhlmann die gemeinsamen Empfehlungen der Bischöfe der EU und der USA zu den Handelsabkommen vom 16. Juni. Darin sei festgehalten, "dass es u.a. um gerechte Entlohnung, Arbeitsschutz und Erhalt des Lebensstandards gehen muss". Klar herauslesen lasse sich hier, "dass für die Kirche CETA und TTIP in der derzeitigen Form nicht akzeptierbar ist", so Kuhlmann. Schon die Tatsache, dass die Bischöfe auf beiden Seiten des Atlantiks zum gleichen Ergebnis kommen, sei ein "eindeutiges Zeichen, dass es ein massives Problem gibt".
Auch die jüngsten Papst-Enzykliken würden der Kritik an den Freihandelsabkommen den Rücken stärken, betonte Kuhlmann. "In 'Evangelii gaudium' wird klargestellt, dass der Markt nicht alles regieren darf, während sich 'Laudato si' klar für eine kleinstrukturierte Landwirtschaft ausspricht - die durch CETA und TTIP massiv unter Druck kommt." Die Abkommen und ihr Fokus auf Konzerninteressen widersprächen auch der Forderung nach einer menschenfreundlichen Ethik für die Wirtschaft, die einst Papst Benedikt erhoben hatte.
Demokratie-Angriff und Mogelpackung
Als "massiver Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" und "enormer Machttransfer von den Bürgern hin zu Konzernen" bezeichnete Alexandra Strickner von Attac das EU-Kanada-Abkommen. Die enthaltenen Sonderklagerechte erlaubten es europäischen und kanadischen Unternehmen wie auch allen Konzernen aus den USA mit Niederlassung in Kanada, gegen ihnen unliebsame Gesetze zu klagen.
Der Umweltschutz würde durch erleichterte Mitsprache für Konzerne untergraben, warnte Heidemarie Porstner von "Global 2000". CETA weiche Umwelt- und Gesundheitsstandards auf, mache strengere Regelungen für Einzelstaaten unmöglich und Industrieabsprachen noch deutlich einfacher. Konzerne könnten wesentlich früher im Gesetzfindungsprozess Einfluss nehmen, zudem sei auch problematisch, dass nach amerikanischem Verständnis von der Industrie selbst durchgeführte Forschungen als "wissenschaftlich" gelten.
Von einer "Mogelpackung" sprach Irmi Salzer von der Bauernvereinigung "ÖBV-Via Campesina Austria": Massive Rindfleischimporte stünden durch TTIP und CETA ins Haus, sowie auch Probleme mit der Gentechnik, mit den bloß schwach formulierten geschützten Ursprungsbezeichnungen und mit der Landschaftspflege. "Die bäuerliche Landwirtschaft, auf die wir so stolz sind, wird massiv unter die Räder kommen. Folgen hat das auch für die Kulturlandschaft - denn wo es statt Bauern nur noch Agarindustrie gibt, lebt man nicht gerne."
Lisa Muhr von der Initiative "KMU gegen TTIP" bemängelte an CETA, Konzerne könnten damit ihr Investitionsrisiko auf die öffentliche Hand abwälzen, während für Klein- und Mittelbetriebe die Rahmenbedingungen immer rauer würden. Heftige Kritik übte sie an der Wirtschaftskammer, bei deren Diskussionen zu TTIP und CETA hauptsächlich Befürworter zu Wort kämen, ebenso wie stets nur Studien zu Chancen, nicht aber zu Risiken der Abkommen beauftragt würden. Muhr: "Klein- und Mittelbetriebe machen 99,6 Prozent der heimischen Betriebe aus und stellen einen Großteil der Arbeitsplätze und Wirtschaftsleistung, doch ihre Interessen werden von der Wirtschaftskammer nicht vertreten."
Dass weder Kanada noch die USA Grundrechte der Arbeitnehmer auf Vereinigungsfreiheit oder auf Kollektivvertragsverhandlungen anerkennen, betonte Gerhard Ries von der Gewerkschaft PRO-GE.
Heiße Phase und anwachsender Protest
Für CETA ist die heiße Phase endgültig gestartet: Am Montagnachmittag waren das Abkommen und eine parlamentarische Enquete dazu Thema im Hauptausschuss des Nationalrats in Wien, am Dienstag dürften es zumindest informell beim Europäischen Rat in Brüssel besprochen werden. Am 5. Juli will die EU-Kommission ihre Sichtweise über den Entscheidungsprozess für CETA vorlegen, ehe am 21. September die Abstimmung der EU-Handelsminister stattfindet - Stichdatum für eine endgültige Position auch seitens der heimischen Regierung. CETA soll dann laut Vorstellungen der Verhandler Ende Oktober im Rahmen des EU-Kanada-Gipfels in Brüssel unterzeichnet werden.
Parallel zu diesen Vorgängen formiert sich auch das Bündnis "TTIP Stoppen", das die Regierung zu einem "Nein" für CETA auffordert. 45.000 Menschen haben sich in den vergangenen Wochen bereits an einer E-Mail-Aktion der Plattform an die Regierung und an EU-Abgeordnete beteiligt, zudem zählen auch rund 400 österreichische Gemeinden, knapp 50 Ortsbauernausschüsse, 2.500 kleine und mittlere Unternehmen in Österreich, die Katholische Aktion, Gewerkschaften und NGOs zu den Unterstützern. Weiters geplant sind bundes- und europaweite Demonstrationen am 17. September sowie am 4. Oktober in Brüssel.
Infos: www.ttip-stoppen.at
Wien, 27.6.2016
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