Bildungsvolksbegehren aus und vorbei?
383.820 wahlberechtigte ÖsterreicherInnen (das sind 6,1 % der Wahlberechtigten) haben das Bildungsvolksbegehren unterschrieben. Das sind nicht wenige Menschen, und doch sind es nicht wahnsinnig viele. Das Volksbegehren "Österreich darf nicht sitzen bleiben" erreichte gerade einmal Rang 17 der 35 Volksbegehren, die seit 1964 in Österreich abgehalten wurden. Ich gehöre nicht zu jenen, die darin einen "klaren Auftrag zur Reform" und dergleichen sehen. Wir müssen anerkennen: Die österreichische Bevölkerung ist in dieser Sache nicht ausreichend mobilisierbar. Reformen werden von oben erwartet, wenige kämpfen aktiv dafür. Die Sorgen und Ängste sind groß. So bleibt nur die Stagnation. Wie wird es nun weitergehen?
Niemand kann vorhersagen, wie sich soziale Verhältnisse in der Zukunft ändern. Das österreichische Bildungssystem ist ein Spiegel der sozialen Verfassung unseres Landes. Soziale Gruppen grenzen sich nicht zuletzt dank des geteilten Schulsystems voneinander ab: Die Wohlhabenderen gehen eher ins Gymnasium, Kinder aus ärmeren Haushalten eher in die Hauptschule. Doch die soziale Selektion beginnt bereits viel früher, schon in der Volksschule wird getrennt und es zeigen sich deutlich Unterschiede zwischen einzelnen Schulen. Wenn man dies vor Augen hat, dann wird man pessimistisch, was die Möglichkeiten der Veränderung dieses Systems betrifft.
Reform dank Krise
Die Vergangenheit zeigt, dass große Veränderungen im Bildungssystem meist erst dann zustande kamen, als es galt, eine große Krise zu bewältigen. Österreich unterlag 1866 in Königsgrätz den preußischen Truppen - eine der Erklärungen war, dass die Preußen besser gebildet waren als die Österreicher. Das 1869 erlassene Reichsvolksschulgesetz war die bildungspolitische Antwort auf die Niederlage: Erstmals wurde in der ganzen Monarchie ein effizientes Schulsystem eingeführt. Statt sechs wurde die Schulpflicht auf acht Jahre verlängert, die Klassenschülerhöchstzahl wurde auf 80 (!) begrenzt. Aus heutiger Sicht mögen das schüchterne Reformen gewesen sein, damals hatten sie weitreichende Folgen.
Das historische Beispiel mag schmerzhaft wirken, fast wie ein Zerrspiegel in der Vergangenheit. Braucht Österreich nochmals ein Königsgrätz, um sein Bildungssystem zu reformieren? Ich fürchte ja. Die gute Nachricht im Schlechten: Die Krise ist ja schon da. Die Währungskrise der EU wird auch unser Land herausfordern und schon in den letzten Jahren haben Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer darauf aufmerksam gemacht, dass Österreich mit diesem Bildungssystem im internationalen Vergleich zurückfallen wird. Diese wirtschaftspolitisch motivierten Ängste fanden sich ja auch im Text des Bildungsvolksbegehrens wieder und wurden in dessen Redaktionsgruppe kontrovers diskutiert: Ist Bildung nicht ein Selbstzweck? Kann man erst dann Reformen fordern, wenn es wirtschaftlich begab geht?
Vom Wert der Ideen
Man darf schon vorher fordern, aus humanistischen, aus christlichen und sogar aus schlicht pädagogischen Gründen. Doch so viel Realitätssinn darf auch erlaubt sein: Die Verhältnisse ändern sich nicht wegen der Ideen allein, sondern weil die materiellen Grundlagen sich verändert haben und es gute Idee zur Veränderung gibt. Ich denke, die Ideen sind jetzt da. Vieles steht in den Forderungen des Bildungsvolksbegehrens. Doch die Krise ist noch nicht groß genug, dass das österreichische Bildungssystem funktionsunfähig wird. Es läuft vieles noch zu gut in diesem so schwerfälligen Koloss Schule. Das ist auch ein Verdienst der vielen engagierten LehrerInnen. Und es wäre zynisch, sich die positiven Seiten der Schule wegzuwünschen, nur damit endlich die Krise unübersehbar wird.
Meine optimistische Befürchtung für die österreichische Schule ist es, dass die Krise sich sehr verschärft und dann der Moment für einen Neubeginn kommt. Polen zeigt uns vor, wie es geht, eine gute gemeinsame Schule zu realisieren, die auch bei den PISA-Tests gute Ergebnisse zeigt. Dafür hat es vorher ein Jahrzehnt der post-sozialistischen Krise gebraucht. Lernen ist schmerzhaft, gerade auch für Staaten und sozialen Systeme.
Ich bleibe optimistisch im Pessimismus und davon überzeugt, dass Österreich nicht sitzen bleiben wird. Kämpfen müssen wir aber wohl darum, denn von allein, wird gar nichts passieren.
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