Chancen aus den Krisen
Während eines Arbeitsgespräches zur Vorbereitung von Aktivitäten zur Finanzkrise ereiferte sich eine Teilnehmerin darüber, dass immer wieder von der „Krise" gesprochen wurde. Sie könne das schon nicht mehr hören, da wir doch viel besser an die „Chancen" denken sollten, die sich aus jeder Krise ergeben.
Ich ging nachdenklich und ein wenig betroffen nach Hause. Vielleicht hat sie wirklich Recht und wir können oder wollen die mit den Problemen erzwungenen Veränderungen und Reformen nicht als Chance erkennen und uns daran aufbauen.
In der Zwischenzeit muss ich allerdings in vielen Bereichen erkennen, dass der Druck der Krisen noch lange nicht groß genug ist, um damit wirkliche Reformmaßnahmen zu erzwingen.
Viel Hoffnung habe ich und mit mir viele Fachleute und Aktivisten aus den sozialen Bewegungen und NGO's darauf gesetzt, dass bei so viel Problemen und deren dramatischen Folgen, wie bei der derzeitigen Finanz- und Wirt-schaftskrise, sich grundsätzliche Reformen und Strukturanpassungen aufzwingen. Leider zeigen die tagespolitischen Ereignisse sehr wenige Tendenzen, die Ursachen der Probleme nüchtern zu erkennen, schon gar nicht, daraus Konsequenzen zu ziehen. Weiterhin werden KritikerInnen, Vordenkende und Visionäre in die verschiedensten „Ecken" verwiesen, wie „sozial-romantisch", „ultralinks", spätpubertär", ja für uns als christliche Bewegung ist es immer noch bedenklich, wenn wir mit „ATTAC-lern" und „Kommunisten" auf die Straße gehen.
Wirtschaft in der Intensivstation
Zwei Vorfälle möchte ich anführen, die zeigen, wie verantwortliche Politiker mit diesen Problemen umgehen:
Bei einem Pressegespräch im Juni erklärte unser Finanzminister dass jetzt nicht die Zeit sei, über neue Steuern zu sprechen. „Wenn der Patient in der Intensivstation liegt, kann man nicht über eine Reha nachdenken!"
Ins gleiche Horn blies in der nächtlichen Diskussion am gleichen Tag der Wirtschaftsminister. Der Sozialminister wagte - gewerkschaftsunüblich zahm - dann doch den Einwand, dass es bei den Diskussionen doch um die Verteilungsgerechtigkeit bei der Defizitbewältigung gehe. Das wars aber auch schon. Kein Wort mehr über eine höchst überfällige Entlastung der Arbeitskosten - dzt. bei ca. 40 %. Dass Vermögen und Kapital ungerechtfertigt viel weniger belastet ist - dzt. ca. 10 - 15 % - wird totgeschwiegen. Die Rettung durch eine Verwaltungsreform, längst überfällig aber nach wie vor nicht umsetzbar, klingt wie ein typisches Ablenkungsmanöver. Wir werden also kaum eine Belastungsverschiebung auf Kapitaleinkommen und Ressourcenverbrauch erleben, weil darüber darf nicht einmal nachgedacht werden.
UNO ist nicht schwach, sie wird geschwächt!
Zweite Szene, die UNO Gipfelkonferenz zur Finanzkrise in New York: Teilnehmer aus den Industriestaaten waren vor allem Beamte oder Regierungsmitarbeiter mit wenig Kompetenzen, Österreich entsandte doch zumindestens Staatssekretär Lopatka vom Finanzministerium. 30 Regierungs- und Staatschefs, alle aus Entwicklungs- und Schwelländern zeigen, dass gerade für diese Länder wichtige Entscheidungen notwendig wären. Die Ergebnisse waren leider sehr enttäuschend, wie die Einrichtung einer Arbeits-gruppe anstatt der Schaffung eines „Weltwirtschaftsrates".
Der Verdacht liegt nahe, dass die Industrieländer die Rolle der UNO absichtlich schwächen wollen, weil diese der Finanzindustrie eher ein Korsett anlegen möchte, als etwa eine G-20 Versammlung.
Auffallend dabei ist, dass bei den G-20 Treffen die Teilnahme der Regierungschefs obligatorisch ist. Da ist man eben unter sich und wird nicht von „lästigen" UNO-Gremien und Chefs aus Entwicklungsländern bei der Arbeit „gestört".
Eine grundlegende Reform der Finanzmarktaufsicht und die Berücksichtigung von Reformen und Neuregelungen, wie sie seit Jahren schon vor der Krise vorgeschlagen wurden, haben in einem solchen Klima und bei so wenig politischen Willen, kaum Aussicht auf Umsetzung. Die „Chancen aus der Krise", um zur Einleitung zurückzukehren, möchte ich wirklich gerne sehen und finden, mein Suchen danach wird wohl noch eine Weile anhalten müssen.
Bruno Holzhammer
KABÖ-Vorsitzender