Gedanken zum 2. Adventsonntag von Anna Wall-Strasser
Stellen Sie sich vor: Sie liegen im Bett, es ist kalt im Raum und Sie schlüpfen unter die warme Decke. Doch wie Sie diese auch ziehen und wenden, immer zieht es irgendwo herein. Entweder die Füße sind kalt, oder der Brustkorb, oder die Schulter ist nicht bedeckt. Die Tuchent ist einfach zu kurz. Da können Sie sich noch so klein machen und zusammenkauern, es wird kein guter, ungestörter Schlaf zu finden sein.
So geht es im übertragenen Sinn vielen hier in unserem Sozialstaat Österreich. Die finanzielle Basis für ein gutes Leben in Würde und Selbstbestimmung ist nicht gesichert. Das gilt für Niedrigverdiener:innen, ob Frau (zumeist) oder Mann, ob angestellt oder prekär selbständig ebenso wie für viele Pensionisten:innen, für Menschen mit Beeinträchtigung oder chronischen Krankheiten. Es gilt auch für Arbeitslose wegen der niedrigen Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld, und für Sozialhilfebezieher:innen, die aus einem Mix an Gründen nicht am Arbeitsmarkt bestehen können. Und für jene, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, und daher nicht ganztags erwerbsarbeiten können. Das Phänomen der zu kurzen Tuchent hat nichts mit mangelnder Leistung zu tun, vielmehr mit dem, was als Leistung gesehen und anerkannt wird.
Die Bundeskonferenz der KABÖ hat sich mit einem Gegenentwurf zu diesem realen Szenario beschäftigt: mit der Vision eines existenzsichernden Grundeinkommens für alle. Eine garantierte materielle Basis steht jedem Menschen zu und ist die Voraussetzung für ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben. Dabei sind wir überzeugt, dass Erwerbsarbeit auch und gerade unter gesicherten Verhältnissen eine wesentliche Rolle spielen wird. Arbeit vergesellschaftet uns. Menschen wollen arbeiten, aber eben nicht unter allen Bedingungen und zu jedem Preis. Ein Grundeinkommen würde jeder Arbeit einen Wert zumessen, auch der bisher unbezahlten. Ein sicheres Auskommen würde jede Menge Phantasie und Kreativität freisetzen, das gemeinsame Leben und die Umwelt, die Gesellschaft zu gestalten. Wichtig dabei ist eine tatsächlich existenzsichernde Höhe (also derzeit mindestens 1.300 Euro), sowie eine gemeinschaftliche staatliche Infrastruktur zur Bereitstellung dessen, was alle brauchen: eine bedarfsgerechte Pflege und Gesundheitsversorgung, emanzipatorische Bildung, öffentlicher Verkehr, leistbares und gemeinschaftsförderndes Wohnen, ...
Dass es nicht am Geld scheitern würde ist angesichts des vorhandenen Reichtums evident. Es ist eine Frage des politischen Willens, ob immer mehr Menschen unter einer zu kurzen Decke sich abfrieren und weiter abstrampeln müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen – oder auf einem sicheren materiellen Fundament für sich und andere sinnvoll tätig sein können.
Die KAB wird die Debatte um Grundeinkommen, Arbeit und Existenzsicherung jedenfalls weiterführen, versichert
Ihre/Eure Anna Wall-Strasser, Bundesvorsitzende der KABÖ
5.12.2021