GUTE ARBEIT - Bloß ein Traum?
Ein Text von Paul Schobel, Betriebsseelsorger Stuttgart. Rede beim Stahlabend in der voestalpine am 6.Oktober 2003.
Scherben bringen nicht immer Glück ... Dieses Teil habe ich vor dem Werkstor des ehemaligen IBM-Leiterplattenwerkes in Sindelfingen aufgesammelt. Zwei Jahre lang hatten Betriebsseelsorge, Gewerkschaft, Betriebsrat und Belegschaft mit dem Mut der Verzweiflung um die 800 Arbeitsplätze gekämpft. Im Juli fiel endgültig die Tür ins Schloss. Nicht ohne Nachhall! Wir hatten die Beschäftigten am letzten Arbeitstag zu einem Gottesdienst vor dem Werkstor eingeladen. Alle Kirchen, evangelisch und katholisch, läuteten mit den Glocken. Die Anwesenden wurden von uns aufgefordert, ein Stück altes Porzellan auf dem Boden zu zerschmettern zum Zeichen dafür, was heute in ihnen zerbrochen ist: Existenzgrundlage, Lebensperspektive.
Wut und Enttäuschung, Verbitterung und Zorn, aber auch maßlose Trauer war aus den Gesichtern zu lesen. Das Klirren wollte kein Ende nehmen. Ein riesiger Scherbenhaufen war entstanden.
Gute Arbeit - nur ein Traum? Diese Scherbe verrät mir: das ist nicht beliebig, wie wir mit Arbeit umgehen! Das rührt an etwas Existentielles, vielleicht sogar an etwas Heiliges. Wahrscheinlich kennt man auch in Österreich die Geschichte der drei Steinmetzen vom Kölner Dom.
„Was macht Ihr denn da," so fragte sie ein Fremder.
Und der eine antwortete mürrisch: „Du siehst doch, ich behaue Steine ..."
Der zweite: „Ich arbeite, um meine Familie zu ernähren".
Der dritte wischte sich den Schweiß von der Stirn: „Ich baue mit am großen Dom."
(Eine Antwort, die jedes Pfarrerherz höher schlagen lässt!) Diese Geschichte verrät wie keine andere Elend und Reichtum der menschlichen Arbeit.
- Arbeit trotzt der Natur das Lebensnotwendige ab: „ich behaue Steine ..." Stahlbauern muss man nichts von der Widerständigkeit des Materials erzählen. Es ist die naturale Dimension der Arbeit, sagen die Ethiker: es geht um Wohnung, Nahrung, Kleidung inmitten einer Umwelt, die nicht gerade lebensfreundlich ist, sondern erst als solche ausgestaltet werden muss. Es geht um Grundbedürfnisse: Leben und Überleben, um das tägliche Brot. „Ohne Moos nix los ..."
- Die zweite Antwort lässt schon erkennen, wie sehr Erwerbsarbeit eingebunden ist in das soziale Miteinander einer Gesellschaft: Familie, soziale Sicherung, hören wir da heraus. Arbeitsfähige sorgen für das Leben der Arbeitsunfähigen, der Kinder, der Alten und Kranken. Auch heute noch ist es die Erwerbsarbeit, die über den Umweg Geld, über ihre Beiträge und Abgaben die Grundrisiken absichert. Das wird zunehmend ein Problem, wie wir wissen. Der kranke „Esel Arbeit" kann diese Last zukünftig nicht mehr allein schultern ... .
- Der dritte Steinmetz schließlich sieht den tieferen Zusammenhang seiner Tätigkeit: er baut mit am großen Dom. Das hat mit ihm selbst zu tun, mit seiner Persönlichkeit. Sein Schaffen und Können ist durchdrungen von Geist. Er sieht die übergeordnete Bedeutung, mitzuwirken an einem großen Ganzen. Er sieht sich selber darin in seinem Schaffen. Arbeit hat immer eine personale Seite. Sie trägt ein Gesicht. Nicht umsonst erlaubten die mittelalterlichen Baumeister ihren Steinmetzen, dass sie ihre Namenszeichen in den Steinen verewigen durften.
Lassen Sie mich, um das Bild der Arbeit abzurunden, ein Negativ gegen das Licht halten, um uns aus dem Mittelalter in die Gegenwart hineinzuhelfen: Erwerbslose spüren, dass sie mit ihrer Arbeit mehr verloren haben als nur ihr Einkommen. Das allein ist ja schon schlimm genug. Aber sie leiden noch mehr darunter, nicht mehr gebraucht zu werden, zu nichts mehr nütze, sondern nur noch allen lästig zu sein. Und nichts trägt mehr ihre Handschrift. Sie arbeiten nicht mehr mit am „großen Dom". Das ist die Sinnfrage, die kann ihnen Kopf und Kragen kosten.
> Arbeit im real existierenden Kapitalismus
Inhalt
> Einleitung - Geschichte der Steinmetzen
> Arbeit im real existierenden Kapitalismus
> Die Aufgabe der Betriebsseelsorge