1. Sehen - Hauptsache Arbeit?
1.3. Unerhört! Wie Frauen leben und arbeiten wollen
„Es ist unerhört, es ist nicht zu glauben, wie hartnäckig sich die Struktur der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern hält!"
So begrüßte die Stv. Bundesvorsitzende der KAB-Deutschland, Ulrike Willing-Spielmann, über 250 Teilnehmer/innen beim Europäischen Frauenkongress im Mai 2002 in Köln.
Vorangegangen war eine Umfrage katholischer Arbeitnehmerverbände in Deutschland, Schweiz, Österreich und Südtirol, bei der rund 2.500 befragte Frauen eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit forderten.
Über 94 % der Befragten leisten Hausarbeit, 42 % Kindererziehung, mehr als 12 % pflegen kranke oder ältere Angehörige. In zwei Drittel der Haushalte übernehmen die Frauen allein oder überwiegend die Arbeit, nur in einem Drittel beteiligt sich der männliche Partner regelmäßig daran. 80 % der befragten Frauen wünschen künftig ein stärkeres Engagement von Männern an der Familienarbeit.
Die einseitig auf Erwerbsarbeit konzentrierte Diskussion in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft müsse aufgebrochen werden und unbezahlte Familienarbeit und ehrenamtlich, aber gesellschaftlich notwendige Arbeit einbeziehen, ist das Fazit der Umfrage.
Bei der Tagung in Köln wurde eine Vielzahl von inhaltlichen Schwerpunkten konkretisiert, von denen zwei beispielhaft genannt seien:
Beteiligung an der Erwerbsarbeit:
Die Zukunftsperspektive einer Tätigkeitsgesellschaft beinhaltet gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an allen drei Formen gesellschaftlich unverzichtbarer Arbeit. Damit verbunden ist eine gerechte Verteilung der Arbeitsformen zwischen Frauen und Männern. Ziel muss es sein, die Erwerbsarbeit so zu verändern, dass eine Vereinbarkeit von Leben und Arbeiten möglich wird.
Dazu müssen Instrumente der EU zur Durchsetzung von Chancengleichheit konsequent angewandt und weiterentwickelt werden, wie etwa das Prinzip des „Gender Mainstreaming", der Chancengleichheitsgrundsatz im Vertrag von Amsterdam, beschäftigungspolitische Leitlinien, aber auch der flächendeckende Ausbau vielfältiger Formen der Kinderbetreuung.
Eigenständige Existenzsicherung von Frauen:
Im Durchschnitt verdienen Frauen in Europa rund 25 % weniger als Männer. Hinzu kommt, dass sich in den Industriestaaten eine zunehmende Spaltung zwischen armen und reichen Bevölkerungsgruppen beobachten lässt, die durch die Tendenz zur Rücknahme sozialstaatlicher Leistungen noch verschärft wird. UN-Angaben zufolge sind 70 % aller Armen auf der Welt Frauen.
Wenn Arbeit gerechter verteilt werden soll, kann und darf Existenzsicherung nicht mehr allein auf der Erwerbsarbeit aufbauen. Dazu sind Konzepte zu entwickeln und einzuführen, welche die unterschiedlichen Formen von Existenz- und sozialer Sicherung aus Arbeit, sozialen Sicherungssystemen und Grundsicherung in unterschiedlichen Lebensphasen miteinander verbinden. Daneben bildet die gerechte Bewertung und Entlohnung der Erwerbsarbeit von Frauen einen unverzichtbaren Bestandteil. Nicht zuletzt müssen alle Formen gesellschaftlich notwendiger Arbeit in Altersicherungssystemen Berücksichtung finden.
Der Frauenkongress in Köln zeigte einmal mehr, wie langsam und mühsam Veränderungen - auch wenn sie längst zu Papier gebracht wurden - vor sich gehen. Bei der Bundeskonferenz der KAB-Österreich im Oktober 2002 beschrieb dies die Anwältin für Gleichbehandlungsfragen, Dr. Christine Baur, mit dem Satz:
„Selbst die ewigen Berge verändern ihre Schwierigkeitsgrade,
sobald eine Frau es bis auf den Gipfel geschafft hat!"
Inhalt
1. Sehen - Hauptsache Arbeit?
2. Urteilen - Biblische Inspirationen
3. Handeln - Das Projekt "Gute Arbeit"