1. Sehen - Hauptsache Arbeit?
1.1. Leben wir noch in einer Arbeitsgesellschaft?
In den letzten Jahren wurde unsere Gesellschaft mit vielerlei Namen bedacht:
- Konsumgesellschaft
- Freizeitgesellschaft
- Erlebnisgesellschaft, usw.
Und in kaum einem Beitrag wurde nicht der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin genannt, der mit seinem „Ende der Arbeit" für einen Nachruf auf die Arbeitsgesellschaft gesorgt hatte. Heute scheinen Wunsch und Wirklichkeit wieder auseinander zu driften und der „Nachruf" etwas verfrüht.
Denn immer deutlicher wird in den letzen Jahren, dass Erwerbsarbeit nach wie vor der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe ist, weil wir ohne Geld all die Produkte, die man haben muss, um dazu zu gehören, nicht kaufen kann.
„Consumo ergo sum" - ich konsumiere also bin ich - ist die Botschaft, die täglich über Millionen Bildschirme flimmert und mittlerweile können wir alle spontan zu jeder Ware einen Markennamen nennen: Brillen und Schuhe, Uhren und Parfums, Sakkos und Handtaschen ... längst werden „Marken" weltweit zu Wertevermittlern hochstilisiert, man kauft sich sozusagen das Image - nicht zusätzlich, sondern zuerst und erst danach das Produkt.
Obwohl wir uns also gerne über Markenware definieren und unsere Freizeitbeschäftigung zum scheinbaren Lebensinhalt machen - es erscheint fast undenkbar, dass ein/e Snowboarder/in den gleichen Anorak wie ein Schifahrer/in trägt - ja, obwohl wir uns in diesen „Lebensstiläußerungen" geradezu baden, bleibt eine Wirklichkeit bestehen:
Welchen Beruf ich habe, ist prägender Teil meiner Identität und ein wichtiger und entscheidender Schlüssel zu gesellschaftlicher Anerkennung.
Noch immer sind uns andere Vermittlungsformen für den Selbstwert weitgehend unvertraut. Wir haben keine echte Lebensalternative zur Arbeit und so wird die Erwerbs-Arbeitslosigkeit - zu Recht - als auf Dauer „menschenunwürdiger Zustand" empfunden. Allerdings hat beim Verständnis, was Arbeit ist und was nicht, eine Verengung stattgefunden, die im Satz gipfelt: „Ich arbeite nicht, ich bin nur Hausfrau!"
Nur die bezahlte Erwerbsarbeit wird als „echte Arbeit" angesehen und mit gesellschaftlicher Achtung und Anerkennung verbunden. Dieses Denkmuster entpuppt sich immer mehr als Sackgasse, weil das in den letzten Jahrzehnten relativ gut funktionierende Zusammenspiel von Produktivität, Arbeitskräftebedarf und Konsum immer unübersehbarer aus dem Gleichgewicht kippt. Die Folgen beschreibt der Wiener Berufsbildungsforscher Erich Ribolits so:
- Auch in den Industriestaaten sucht uns wieder das Phänomen der (Massen)-Arbeitslosigkeit heim.
- Die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse steigt rasant an: Niedrigbezahlte Arbeiten, sozialrechtlich wenig abgesicherte Arbeiten, neue - oft ungewollte - Selbständigkeit, Flucht aus dem Arbeitsrecht, ...
- Die drohende Spaltung der Gesellschaft: die einen haben keine Arbeit, für andere steigt die reale Arbeitszeit und die Zeitnot an.
Worum es heute geht, ist ein Verlassen des Denkkorsetts der Arbeitsgesellschaft. Es ist höchste Zeit für die Einsicht, dass der Mensch sich nicht als arbeitender Konsument vom Tier unterscheidet, sondern als denkendes Wesen.
> 1.2. Die "Triade der Arbeit"
Inhalt
1. Sehen - Hauptsache Arbeit?
2. Urteilen - Biblische Inspirationen
3. Handeln - Das Projekt "Gute Arbeit"