Interview mit Andreas Gjecaj
Andreas, noch bevor Du 2006 im ÖGB zu arbeiten begonnen hast, hast Du Dich mit dem Thema „Arbeit" sehr intensiv auseinandergesetzt.
Andreas Gjecaj: Vor meiner Anstellung im ÖGB war ich Bundessekretär der Kath. Arbeitnehmer/innen Bewegung Österreich (KABÖ) und wir haben gemeinsam mit der Betriebsseelsorge in Österreich eine Kampagne gestartet. Die Idee dazu kam von Marja Kantanenen, einer Sozial- und Industriepfarrerin aus Helsinki. Die finnischen Industrieseelsorger/innen hatten sich gefragt, wie sich die menschliche Arbeit im dritten Jahrtausend angesichts der weit fortgeschrittenen Deregulierung und Globalisierung entwickeln würde und haben ein „Good Work Project" begonnen.
Gerade in Österreich erscheinen aber Kathedralen und Fabrikshallen als ziemlich unvereinbare Gegensätze – oder zumindest eigene Welten, die kaum Berührungspunkte haben.
A. Gjecaj: Abseits der belasteten Geschichte der 30er Jahre gibt es bei uns die Redensart, dass man gelegentlich „den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht". Den meisten Menschen fallen rasch zwei Bibel-Zitate ein - und diese verstellen den Blick darauf, dass Arbeit gerade im Christentum ganz zentral vorkommt. Bei der Vertreibung aus dem Paradies heißt es im Buch Genesis: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen..." - und das wurde immer nur als Fluch verstanden. Das zweite Zitat stammt aus einem Brief des Apostels Paulus: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen." Zugegeben, zwei ziemlich große Bäume. Jetzt aber zum Wald: Zumindest das Judentum und das Christentum berufen sich auf einen biblischen Gott, der genau die damaligen Lebens- und Arbeitsbedingungen des Volkes Israel hernimmt, um zu zeigen, wer er ist. Er führt sie nämlich aus der Knechtschaft in Ägypten heraus - er befreit aus der Unterdrückung und Sklaverei.
Was war dann Arbeit in der Antike: Segen oder Fluch?
A. Gjecaj: Arbeit war in der Antike - und ist bis heute - nicht eindimensional, d.h. es war immer sowohl Mühe, Last, Anstrengung als auch Selbstverwirklichung, soziales Wirken und Selbstbestimmung. Eine bekannte Geschichte erzählt von drei Steinmetzen am Kölner Dom. „Was macht ihr denn da?", fragt sie ein Fremder. Und der eine antwortet mürrisch: „Du siehst doch, ich behaue Steine." Der zweite: „Ich arbeite, um meine Familie zu ernähren." Der dritte wischt sich den Schweiß von der Stirn: „Ich baue mit am großen Dom".
Eine kleine Geschichte, die doch Wesentliches zur Bedeutung von Arbeit enthält, auch wenn sich diese gewandelt hat. In der Antike wurde Arbeit von Unfreien und Sklaven geleistet, während sich der Adel eher im Betrachten übte - in der Gegenwart scheint man die ganze Welt als „Baustelle" zu begreifen - und fast jede Tätigkeit wird als „Arbeit" bezeichnet. So spricht man heute von Beziehungsarbeit, Trauerarbeit - oder wie zuletzt beim AIDS-Kongress in Wien von Sexarbeit.
Dich scheinen diese Bezeichnungen nicht zu freuen?
A. Gjecaj: Auch wenn der Volksmund sagt, dass „Einbrecher in der Nacht an die Arbeit gehen“, meine ich, dass nicht jedwede Tätigkeit Arbeit ist. Auch dann nicht – und es ist mir wichtig darauf hinzuweisen – wenn man damit Geld verdient. Vielmehr sollten wir gerade bei unbezahlter Arbeit genauer hinschauen und uns fragen, was für unser Leben eigentlich wichtig und wertvoll ist. Die deutsche Theologin Dorothee Sölle hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Jede Arbeit, die auf Vernichtung der Lebenden, der Nachkommen, der Mitgeschöpfe und der ganzen Erde abzielt, ist mit dem christlichen Gauben unvereinbar. Ein Soldat ist kein "Arbeiter“.
Aber schon Ende des vorigen Jahrhunderts hat der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin mit seinem Buch „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft" für einen Nachruf auf die Arbeitsgesellschaft gesorgt.
A. Gjecaj: Und sich damit ebenso getäuscht wie viele Soziologen, die unsere Gesellschaft nur mehr über die Freizeitgestaltung oder Lebensstilfragen definieren wollten. Arbeit wird auch in Zukunft ein Dreh- und Angelpunkt der sozialen Frage bleiben und heute finden wir Texte wie: „Auf der Suche nach der verlorenen Arbeit" von Peter Zellmann oder Henrik Müller, der in seinem Buch „Die sieben Knappheiten" Arbeit als die erste Tugend beschreibt. Welchen Beruf ich habe, wird offensichtlich auch in Zukunft ein prägender Teil meiner Identität und ein wichtiger und entscheidender Schlüssel zu gesellschaftlicher Anerkennung sein. Gerade Erwerbslose spüren, dass sie mit ihrer Arbeit mehr verloren haben, als nur ihr Einkommen. Das allein ist ja schon schlimm genug. Aber sie leiden darunter, nicht mehr gebraucht zu werden - oder um beim Beispiel der Steinmetze zu bleiben, nicht mehr „mitzubauen". Das ist eine Sinnfrage, die sie Kopf und Kragen kosten kann.
In seinen Manuskripten beschreibt Karl Marx den Menschen als „animal laborans", als arbeitendes Wesen, der sich allerdings wegen der „Entfremdung der Arbeit" dabei verliere.
A. Gjecaj: Das 19. Jahrhundert - in dem Karl Marx lebte und wirkte - war von heute fast unvorstellbaren Veränderungen und Umbrüchen geprägt. Die industrielle Lohnarbeit war zunächst Zwangsarbeit. Arbeiter/innen wurden mit Gewalt zu ihren Arbeitsstätten gebracht, die Fabriken mussten von Militärs bewacht werden. Bei einem Vortrag hat der Linzer ÖGB-Bildungssekretär Sepp Wall-Strasser die erste Phase der Gewerkschaftsbewegung so beschrieben, dass es galt „Arbeitsbedingungen zu erreichen, die nicht mehr lebensverkürzend und gesundheitsschädigend für die Arbeiter/innen waren." Im 20. Jahrhundert haben wir - in Europa im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft - um die „Humanisierung der Arbeitswelt" gekämpft und konnten in Kollektivverträgen wichtige Regelungen festschreiben. Und am Beginn des 21. Jahrhunderts stehen wir vor der großen Herausforderung, ob wir wieder in Zustände des 19. Jahrhunderts zurückfallen oder an einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit mitbauen. Denn mittlerweile sollten wir doch gelernt haben, dass die von Marx beschriebene Entfremdung kein Naturgesetz ist.
Bist Du mit deiner positiven Sicht von Arbeit nicht etwas zu „sozialromantisch?" Im heute real existierenden Kapitalismus wird Arbeit doch nach den Gesetzmäßigkeiten des Weltmarkts als Ware gehandelt und als Kostenfaktor bekämpft. Wo man sie überhaupt noch braucht, wird sie ausgepresst wie eine Zitrone und danach achtlos weggeworfen.
A. Gjecaj: Der deutsche Betriebsseelsorger Paul Schobel hat einmal gesagt: „Die Amerikanisierung der Wirtschaft hat die Brasilianisierung der Arbeit zur Folge!" Gemeint ist damit, dass Wirtschaften im US-Stil bedeutet, so zu tun, als wäre Gewinnmaximierung das einzige Ziel der Wirtschaft. Das war es nie - und wer so etwas behauptet, nimmt in Kauf, dass alle anderen Ziele unter die Räder kommen. Die „Brasilianisierung" meint Arbeit ohne gerechten Lohn, Arbeit ohne Anspruch auf soziale Sicherung, Arbeit in Zeitkonstrukten die Menschen verbiegt (Flexibel kommt von flectare: biegen, beugen, krümmen) - ein Zerrbild von Arbeit und Wirtschaft!
Und der Gegenentwurf heißt „Gute Arbeit"?
A. Gjecaj: Weil Arbeit keine Nebensache ist - und niemals war - müssen wir um GUTE ARBEIT kämpfen. Mindestens ein Drittel unserer wachen Zeit verbringen wir in der Arbeit. An unseren Arbeitsplätzen wird die Welt gestaltet, werden Ressourcen verbraucht, Produkte erzeugt, Dienste geleistet. Dort entscheiden sich Glück und Unglück, Gerechtigkeit und Ausbeutung, Sinnhaftigkeit und Frustration. Auch die ILO (Internationale Arbeitsorganisation) hat eine Kampagne mit dem Titel „decent work" gestartet. GUTE ARBEIT ist mehr. Mehr als bloße Wirtschaftlichkeit, mehr als reiner Kostenfaktor. Sie muss die Würde des Menschen garantieren, für ein gerechtes Einkommen sorgen und Verantwortung für die Umwelt tragen.
Danke für das Gespräch.